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Auf Herz und Nieren untersucht: Die Wilhelm-Kaisen-Brücke hat die Hauptprüfung bestanden

Von: T. Beiersdorf, Abteilung 5 – Brücken- und Ingenieurbau, Oktober 2024

Das Spezialfahrzeug auf der Wilhelm-Kaisen-Brücke
Mittels Fernbedienung wurde die Plattform bewegt. Foto: ASV

Derzeit sind bundesweit Brückenbauwerke und ihre Standfestigkeit nicht zuletzt durch den Teileinsturz der Carolabrücke in Dresden im vergangenen Monat ein viel diskutiertes Thema.
In Bremen sind bekanntlich die drei großen Weserquerungen, die in kommunaler Hand liegen und damit vom ASV betreut werden sanierungsbedürftig und wurden daher bereits im Winter 2022 mit Lastreduktionen und weiteren verkehrskompensatorischen Auflagen belegt.
Da die Bürgermeister-Smidt-Brücke ab Anfang November 2024 für die Ertüchtigung der beschädigten Zuganker per Notmaßnahme für mehrere Monate gesperrt sein wird, war es essentiell, die ohnehin anstehende Hauptprüfung der benachbarten Wilhelm-Kaisen-Brücke vor dem Beginn dieser Maßnahme durchzuführen. So können wir sichergehen, dass die Wilhelm-Kaisen-Brücke die zu erwartenden Ausweichverkehre aufnehmen kann.

Während bei neueren Brückenbauwerken die obligatorischen Prüfungen von Beginn an miteingeplant und daher mit entsprechenden beweglichen oder festen Besichtigungseinrichtungen errichtet werden, muss für die Hauptprüfung der mehr als 60 Jahre alten Wilhelm-Kaisen-Brücke ein Spezialfahrzeug mit ausfahrbarer Plattform anreisen. Im Vorfeld hat ein Kollege aus dem Bereich Statik mit Rücksprache mit dem Aufsteller der Nachrechnung bestätigt, dass dieses recht schwere Gerät unbedenklich eingesetzt werden kann. Am 30. September 2024 haben meine Kollegen und ich dann die komplette stadteinwärtige Bauwerksseite, am 01. Oktober 2024 die stadtauswärtige Seite überprüft. Dafür sind wir über die integrierte Leiter auf die Plattform gestiegen.

Unten angekommen haben wir uns mit dem Fahrer des Fahrzeugs per Walkie-Talkie abgestimmt, die Plattform unter die Brücke zu bewegen und alle Bereiche zu erreichen. Stück für Stück haben wir dann sämtliche Schäden begutachtet und unter anderem mit Fotos dokumentiert. Betonabplatzungen sind hier recht häufig vorzufinden, waren uns im Vorfeld aber auch schon zum Großteil bekannt und beeinträchtigen nicht die Standfestigkeit des Bauwerks. Längsrisse waren auch einige vorhanden, lassen sich aber mit der Konstruktion des Überbaus erklären. Insgesamt haben wir hier keine bösen Überraschungen erlebt. Mittels Zollstock und Kamera erfassen wir die festgestellten Schäden und vergleichen diese mit vorherigen Dokumentationen hinsichtlich einer möglichen Schadenserweiterung. Zusätzlich prüfen wir per Hammer den Beton akustisch – hohler Beton klingt nämlich anders als nicht geschädigter.
Am 02. Oktober war dann noch das Innere der Brücke dran: Die beiden begehbaren Kammern in den Widerlagern mit den Übergangskonstruktionen und Brückenlagern sowie die vier Hohlkästen wurden handnah geprüft und Schäden wurden dokumentiert.
Abschließend nach Auswertung aller Erkenntnisse aus der diesjährigen Hauptprüfung an der Wilhelm-Kaisen-Brücke können wir grünes Licht geben für die Sperrung der Bürgermeister-Smidt-Brücke.

Zum Hintergrund:
Die DIN 1076 schreibt vor, an Ingenieurbauwerken alle 6 Jahre eine Hauptprüfung durchzuführen. Darüber hinaus muss alle 3 Jahre eine einfache Prüfung durchgeführt werden; einmal Jährlich ist das Bauwerk zu beobachten.

Was und wie wird bei einer Hauptprüfung eines Brückenbauwerkes untersucht?
Bei einer Hauprüfung wird geprüft ob ein Bauwerk auch so funktioniert wie es durch den Tragwerksplaner erdacht wurde. Dabei werden alle Bauteile handnah auf ihre Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit untersucht. Dabei setzen meine Kollegen und ich alle nötigen Hilfsmittel wie Boote, Gerüste, Leitern, Verkehrssperrungen, Hebebühnen und Steiger ein. Dabei untersuchen wir alle Auffälligkeiten und halten diese fest. Die gefundenen Schäden werden mit einer Note bewertet. Das Ergebnis fließt in die Gesamtbenotung des Bauwerks ein, die eine Aussage über dessen aktuellen Zustand trifft. Gegebenenfalls resultieren hieraus weitere Maßnahmen zur Erhaltung eines Ingenieurbauwerks.

Wie laufen die anderen Prüfungen ab?
Bei der einfachen Prüfung werden die festgestellten Schäden begutachtet und eine Verschlechterung oder auch eine Verbesserung des Schadens festgehalten. Es werden keine Hilfsmittel oder Geräte für die Prüfung verwendet.
Bei der Beobachtung des Bauwerks werden neu aufgetretene Schäden erfasst. Die Bewertung der Schäden wird im Bauwerksbuch dokumentiert, somit ist im elektronischen Bauwerksbuch der Zustand des Bauwerks immer tagesaktuell. Dabei protokollieren wir beispielsweise den Zustand des Betons, der Lager und der Korrosionsbeschichtung auf den Stahlteilen. Bei besonderen Vorfällen, beispielsweise nach einem Unfall, wird das Bauwerk zusätzlich außer der Reihe geprüft.

Das Spezialfahrzeug fährt die Plattform zwischen zwei Lichtmasten aus.
Die Plattform musste Stück für Stück immer zwischen den Lichtmasten ausgefahren und eingekragt werden. Foto: ASV
Im ausgefahrenen Zustand lässt sich die Plattform über eine Leiter betreten.
Im ausgefahrenen Zustand lässt sich die Plattform über eine Leiter betreten. Foto: ASV
Die bemannte Plattform wird langsam unter die Wilhelm-Kaisen-Brücke bewegt.
Die Plattform lässt sich unter das Brückenbauwerk beliebig bewegen –so kann wirklich jeder Zentimeter handnah geprüft werden. Foto: ASV